Entfallen: Die Allmacht des Zufalls

Dem Zufall wird eine große Macht zugesprochen. Er tritt unvermittelt ein, mit ihm lässt sich nicht rechnen, er lässt sich nicht vorhersagen, nicht planen. Tritt er ein, stehen wir ihm machtlos gegenüber. Wenn er uns kalt erwischt sind wir erschreckt, wenn wir ihn gespannt erwarten sind wir fasziniert. Wie auch immer er uns erscheint, ob als nicht vorhersagbarer Würfelwurf oder als ein ungeplantes Zusammentreffen über Jahrzehnte vergessen geglaubter alter Bekannter zur selben Zeit am selben Ort, um den Zufall zu beschreiben, sind wir uns einig: er trifft ein, auch ohne unser Wissen um ihn. Jedenfalls schreiben wir dem Zufall zu, dass wir ihn nicht und niemals vorhersagen können. Und in dieser Zuschreibung liegt der Schlüssel für ihn. „Der liebe Gott würfelt nicht“ sagte Einstein und warum sollte er auch? Im Gegensatz zu uns ist der liebe Gott allmächtig, er weiß alles und kann somit auch alles vorhersagen, das unterscheidet ihn von uns. Für uns ist der „Zufall das unberechenbare Geschehen, dass sich unserer Vernunft und Absicht entzieht“ wie es die Gebrüder Grimm in ihrem Deutschen Wörterbuch formulierten. Wären wir wie der liebe Gott allmächtig, wüssten wir nicht nur um die Geheimnisse der Physik, sondern könnten Sie auch bis ins kleinste Detail berechnen. Die Vorhersage eines Würfelwurfs dürfte mithilfe der Physik zumindest kein Problem sein: Die Ausgangsposition des Würfels in der Faust, Schwingungsrichtung und Muskelkraft der Würfelhand, Luftwiderstand in Relation zur Würfeldichte und Wurfbewegung, Materialbeschaffenheit des Untergrundes auf dem der Würfel landet … Müsste doch alles kein Problem sein! Aber wer will sich schon die Mühe machen, derartig anstrengende Berechnungen anzustellen, denn die größte Kraft ist schließlich immer noch die menschliche Trägheit und überhaupt, haben wir für sowas nicht Computer?

Überträgt man das Prinzip des Zufalls nun auf den Ausgang von Wahlen, gibt es in diesem Fall einige Berechnungshilfen, wie Hochrechnung von Häufigkeiten und stochastische Verteilungsszenarien, welche unsere Ungeduld und die Unerträglichkeit des Zufalls mindern sollen. Doch letztendlich können diese Berechnungen versagen, wie es uns der Brexit bereits einmal bewies. Wären wir jedoch allmächtig, könnten wir selbst bei Wahlen, die Entscheidung jedes Einzelnen vorhersagen. Was hat die republikanische Hausfrau der Ostküstenoberschicht der USA in jeder einzelnen Sekunde ihres Lebens gedacht, welche logische Folge ergibt sich aus den einzelnen Gedanken? Ein Algorithmus wird erkennbar. Dieser setzt sich fort, er wird unterbrochen, von einem prallen roten Ballon, der ein blondes Vollhaartoupet trägt. Der Algorithmus berechnet sich neu, die Frau wählt die Demokraten. Ein arbeitsloser Familienvater im mittleren Westen, hat Existenzängste, er hat nicht viel, aber das was er hat, will er sich unter keinen Umständen wegnehmen lassen. Auf dem Weg zum Jobcenter, wird er von einem anderen weißen Mann mit einer Waffe bedroht, ein vorbeilaufender Mexikaner sieht das. Er hilft ihm. Der Algorithmus wird unterbrochen, der Familienvater wählt die Demokraten. Ein junger Mann in Florida, er hat auch nicht viel, aber er lebt am Meer, die Sonne scheint, er genießt seine Freiheit und will diese auch behalten. Dann wird seine Schwester plötzlich krank, sie hat keine Krankenversicherung, kann sich die teuren Behandlungen nicht leisten, sie stirbt schnell und schmerzvoll. Der Algorithmus wird unterbrochen, der junge Mann wählt die Demokraten. All das könnte passieren, es würde dem Zufall zugeschrieben, könnte dabei aber Wahlen beeinflussen, sodass ihr Ausgang, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht berechnet werden könnte.

Die Allmacht des Zufalls bleibt bestehen, uns bleibt nur der Würfel.

2 Kommentare zu „Entfallen: Die Allmacht des Zufalls

  1. Rein zufällig könnte der rote Ballon mit der blonden Tolle zum mächtigsten Mann der Welt werden. Viellicht erweist sich der Apparat dann zufällig als mächtiger als sein Oberhaupt. Und zufällig geht die Welt dann doch nicht unter. Der Zufall kann auch was Gutes haben. Morgen wissen wir mehr.

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