Über das Entfallen

Hin und wieder bin ich vergesslich. In einem Gespräch suche ich verbissen nach einem Begriff, um einen bereits begonnenen Satz sinnvoll zu beenden. Im Ausland möchte ich gepflegt in Landessprache ein Menu bestellen, und obwohl ich genau weiß, dass ich die Vokabeln immer wieder gepaukt habe, bis ich sie von einer imaginären Tafel vor meinem inneren Auge nur noch ablesen brauchte, sind diese nun wie weggewischt. Manchmal treffe ich Menschen auf der Straße, die ich wiedererkenne, weil sie vielleicht mit mir Abi gemacht haben, aber je angestrengter ich auch in meinem Gedächtnis wühle und krame, je dringender ich nach vergangen Situationen suche, in denen ich den Namen der Person, der ich jetzt rotgesichtig und verlegen grinsend gegenüberstehe, laut ausgesprochen habe, umso weniger will der verzweifelt gesuchte Name im entscheidenden Moment nicht mehr hervorkommen. Hin und wieder lese ich Bücher. Wenn mir Schreibstil und Handlung richtig gut gefallen, fresse ich das Buch innerhalb kürzester Zeit auf, zurück bleiben nur wenige Fetzen der Geschichte und auch diese drohen im Laufe der Zeit zu Staub zu verfallen.

Das Entfallen von Wissen, das momentan Vergessene, das spontan aus dem Sinn gekommene, ist immer etwas ärgerlich und kann sich bis hin zu einem Anfall von Panik über den plötzlichen Kontrollverlust der eigenen Gedächtnisleistung steigern. Aber das Entfallen ist auch eine beständige Quelle der Kreativität. Das Entfallen macht erfinderisch. Altes wurde abgelegt, für Neues wird Platz geschaffen.

Und manchmal bringt einem das Entfallene dazu, einfach drauf los zu reden …

2 Kommentare zu „Über das Entfallen

  1. Geht mir auch so, das mit dem Drauflosreden. Deshalb: „Die Gedanken entfallen! – Ist das nicht wunderbar? Was gibt es Schöneres, wenn man wieder mal zu lang in eingefahrenen Bahnen gedacht hat, wenn sich die Gedanken im Kreis drehen, man keine Lösung für was auch immer findet? Nach was sonst sehnt man sich, wenn man das Gefühl hat, man steckt mit seinen Überlegungen fest, ist in eine Falle getappt und kommt nicht mehr raus? Dann will man doch nur das eine, dass die Gedanken entfallt werden, sich entfalten können und frei sind. Also auf, mach es einfach: die Gedanken entfallen!“

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